zimmermann
und reporter
berlin
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„DAS ORGANISIERTE VERBRECHEN FLIEGT CONCORDE. UND WIR FAHREN IN DER POSTKUTSCHE HINTERHER“
stern 27/2020
Sjors Kamstra ist seit fast 30 Jahren Staatsanwalt in Berlin. Seine Spezialität: kriminelle Clans. Seine Bilanz: ernüchternd. Ein Gespräch über den Kampf gegen das organisierte Verbrechen
Herr Kamstra, was ist eigentlich ein „Clan“?
Es gibt keine politisch korrekte, einheitliche Definition. Ich habe meine eigene verfasst (Kamstra holt eine Mappe und liest vor): „Ein Familienverband libanesischer oder palästinensischer Abstammung oder mit kurdisch-arabischem Hintergrund, der aus einer Vielzahl von Familienangehörigen besteht.“
Klingt so vage wie unproblematisch.
Wir haben, nach dieser Definition, gut 20 Clans in Berlin. Sieben bis acht davon sind jedoch kriminell auffällig.
Was heißt das?
Auch das ist nicht einheitlich definiert. Wenn Sie mich fragen: Wenn eine Großfamilie in der Öffentlichkeit durch eine Vielzahl besonders dreister Straftaten auffällt, können wir von einem „kriminellen Clan“ sprechen. Es gibt Familien in Berlin, bei denen einzelne Angehörige über 30 Mal polizeilich auffällig werden – pro Jahr.
Sie beschäftigen sich seit über 20 Jahren mit Clan-Strukturen in der Hauptstadt. Wann haben Sie gemerkt, dass wir in dem Bereich ein ernstes Problem haben?
Als Ermittler sind Sie wie ein Taucher: Sie begegnen erst ein paar kleinen Fischen, dann schauen Sie genauer, Sie finden etwas größere Fische, und dann erschließt sich Ihnen auf einmal ein riesiges Korallenriff. Irgendwo darin verstecken sich die dicken Fische.
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An der Grenze
stern 24/2020
Mödlareuth, einst ein Dorf, geschützt im Tannbachgrund gelegen, jetzt ein Beispiel für die Teilung Deutschlands. Aber diese Grenze ist keine Grenze! Wir sind hier mitten in DEUTSCHLAND (Protestschild an der ehemaligen innerdeutschen Grenze, 1988)
Man könne das natürlich nicht vergleichen, der Vergleich verbiete sich sogar. Aber, sagt Robert Lebegern, dass diese Grenze zwischen Bayern und Thüringen, diese Grenze, an der einmal die innerdeutsche Mauer stand, jetzt wieder eine Rolle spielt im Leben der Menschen, das finde er schon seltsam. Das sei nicht dramatisch, es sei auch keine Katastrophe. Es sei aber total bescheuert.
Robert Lebegern steht am Donnerstag der vergangenen Woche am kleinen, verschlängelten Tannbach im kleinen Dörfchen Mödlareuth. Der Tannbach teilt das Dorf in einen thüringischen und in einen bayrischen Teil, die Grenze verläuft exakt in der Mitte des Bachs. Einst bildete der Tannbach die Grenze zwischen der DDR und der BRD, auf der thüringischen Seite stand eine 700 Meter lange Mauer, der Ort wurde „Klein-Berlin“ genannt.
Robert Lebegern ist der Direktor des Deutsch-deutschen Museums, das dieses Erbe konserviert, ein Erbe, von dem Lebegern dachte, es würde ein Erbe bleiben, ohne Bedeutung, außer als Mahnung. In den letzten Tagen jedoch wurde diese Grenze wieder eigenartig aufgeladen.
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Die konkrete Frage ist: Wie viele Regeln unter Androhung von Strafe braucht dieses Land noch, um eine zweite Welle der Corona-Infektionen zu verhindern?
Geht es nach Söder: viele.
Geht es nach Ramelow: keine.
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„Wir sitzen einander im Kopf“
stern 43/2019
Zwilling zu sein ist nicht nur ein biologischer Status. In der Literatur, in Filmen, in der Gesellschaft: Zwillinge sind etwas Besonderes. Vor allem den eineiigen Pärchen wird nachgesagt, eine engere Bindung zueinander zu haben als zu irgendeiner anderen Person, die Mutter eingeschlossen. Waltraut Lehmann und Renate Popp aus Berlin haben ihr ganzes Leben gemeinsam verbracht – 75Jahre.
Im „Doppelten Lottchen“, dem Roman von Erich Kästner, werden die Zwillinge als gegensätzlich dargestellt. Die eine nachdenklich, die andere aufgeweckt und wild. Wie ist das bei Ihnen?
WALTRAUT: Ganz genau so. Ich rede viel mehr …
RENATE: … dafür bin ich immer so die Stärkere gewesen, die Forschere, du zurückhaltender.
Gibt es Fotos von Ihnen beiden, auf denen Sie sich selbst nicht auseinanderhalten können?
WALTRAUT: Sicherlich. Schaun Se ma’ …(holt Kinderfotos hervor) Sagen Sie, wer ich bin.
Äh …
WALTRAUT: Die linke … Oder?
RENATE: Hm, ja? Kann schon sein.
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UND AN DEINEN UFERN UND AN DEINEN SEEN…
stern 25/2019
An der Gülper Havel steigt an einem warmen Dienstagmorgen ein Mann in einen rostigen Kahn des Fischers Schröder und setzt sich nach ganz vorn, er atmet tief ein, atmet tief aus und sagt: „Ach, herrlich, diese Luft, das Wasser, herrlich, oder?“ Der Mann heißt Rocco Buchta, er hat ein kleines Bäuchlein und trägt eine Kappe auf dem grauen Haarkranz. Der Fischer Schröder sitzt hinten, er steuert den Kahn, ein stiller Mann mit Händen wie Baggerschaufeln.
Die beiden fahren heute auf die Untere Havel, den weiten, weichen Fluss auf der Kante zwischen Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Fischer Schröder fischt hier in der vierten Generation, sein Onkel war in der DDR sogar mal der Vorsitzende der Fischereigenossenschaft, darüber redet er aber nicht viel und, so scheint es, auch sonst überhaupt nicht gern, er ist einfach ein Fischer, der heute mehr aus dem Fluss ziehen kann als noch vor ein paar Jahren, was wiederum auch an Rocco Buchta liegt, der an diesem Fluss aufgewachsen ist, in Premnitz, gar nicht weit vom Fischer Schröder.
Jetzt, wie er vorn in diesem Kahn sitzt, kann man ihn sich richtig gut vorstellen, ein pausbäckiger kleiner Junge, der mit seinem Opa am Ufer der Havel steht, die Angel in der Hand, wunderschön sei die Kindheit hier gewesen, sagt Buchta, wunderschön, ich wollte nie weg.
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Angriff aus dem Netz
stern 31/2019
Die Front verläuft quer durch eine Kirche, mitten auf dem Luftwaffenstützpunkt Köln-Wahn, die Soldaten haben die Jalousien heruntergelassen, Red-Bull-Dosen stehen auf den Tischen, gerade hat es ein paar Würstchen gegeben, als um 13.42 Uhr eine Frau aufsteht und ruft: „Aufpassen! Wir werden angegriffen!“
Major Bernd Kammermeier kommt dazu, ein kleiner, etwas rundlicher Mann mit Glatze, er trägt Tarnhose, Bundeswehrstiefel. Er schaut der Soldatin über die Schulter und sagt: „Das ist schlecht. Wie lange sind die schon da?“
„Das wissen wir nicht, heute Morgen war es schon komisch, wir konnten das nicht einordnen, jetzt sind die auf unserer Firewall.“
„Was macht ihr jetzt?“
„Wahrscheinlich abschalten, komplett neu aufsetzen.“
Kammermeier nickt. Die Soldaten sitzen vor ihren Monitoren, tippen lange Zeilen Code auf schwarze Oberflächen. Kammermeier sagt: „Die Jungs und Mädels hier sind die einzige Einheit der Bundeswehr, die permanent im Krieg ist.“ Sie gehören zum Kommando Cyber- und Informationsraum (CIR), der digitalen Abwehreinheit der Bundeswehr. Gerade nehmen sie mit 44 Männern und Frauen an der internationalen Cyber-Abwehrübung „Locked Shields“ teil, bei der 23 europäische Nationen und ein Team der Nato digitalen Krieg gegeneinander führen.
Bei dem Wort Krieg denkt man an Panzer, Luftangriffe, Artillerie und den Lärm von Gewehrsalven. Der Krieg, den Kammermeier und seine Kameraden führen, ist anders. Es ist ein alltäglicher Krieg, der, unabhängig von Locked Shields, jeden Tag stattfindet, im Digitalen, und dort an mehreren Fronten gleichzeitig, rund um die Uhr. Permanent wird die Bundesrepublik Deutschland angegriffen – und nicht nur die Bundeswehr, auch Unternehmen führen diesen Krieg gegen Angriffe aus dem Internet, die Versorger, die Politik, irgendwie ist jeder Bürger betroffen, auch wenn er davon gar nicht viel mitbekommt.
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Der Bluthund
JWD 14/2019
Die Angst ist eine Schweißperle, die ihm auf der Stirn steht und sich nicht rührt, tropfengewordener Stress. Dieser ruhige Typ mit der leisen Stimme wird gleich zum Monster werden, zum Schläger, zum Jäger, bereit, seinen Gegner zu zerstören, auch dann noch auf ihn einzuschlagen, wenn er schon am Boden liegt, aber erst mal: Augen zu, tief einatmen, tief ausatmen, die Angst kontrollieren. Angst, weil ihm gleich ein Typ gegenüberstehen wird, der das Gleiche will wie er: seinen Gegner zerstören.
Knapp drei Wochen vor seinem Kampf liegt Dustin Stoltzfus in einer kleinen Sporthalle in dem süddeutschen Städtchen Bruchsal auf einer Turnmatte und würgt einen älteren Mann.
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„ES GIBT EINE SPEZIELLE HÖLLE FÜR FRAUEN, DIE ANDERE FRAUEN NICHT UNTERSTÜTZEN.
DIESE HÖLLE MUSS SEHR VOLL SEIN“
stern extra 01/2019
Kino International, Ostberlin.
Ein Ort, an dem man sich zurückgebeamt fühlt in die DDR. Annette Hess, 52, lächelt entspannt und nimmt in einem der tiefen Sessel des Foyers Platz. Gerade arbeitet sie an einer Serienadaption des Buchs „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ für den Streamingdienst Amazon Prime. Wir sind verabredet, um über das Thema zu reden, das sich wie ein roter Faden durch ihre Stoffe und ihr Leben zieht: Gleichberechtigung. Oder, anders ausgedrückt: Heldinnen.
(…)
Schreiben Sie lieber Männer oder lieber Frauen?
Männer finde ich einfacher zu schreiben, weil sie schneller in Konflikte geraten. Frauen sind anpassungsfähiger, da muss man größere Geschütze auffahren.
Das klingt für mich erst mal ziemlich stereotyp.
Ist es zunächst auch. Die Entwicklung einer Figur ist wie das Malen eines Ölgemäldes. Sie beginnen mit einer groben Bleistiftzeichnung, auf der man nur die Umrisse erkennt. An dieser Stelle sind Sie noch im Bereich der Klischees: Männer sind so, und Frauen sind anders. Nach und nach tragen Sie Schichten auf, brechen diese Klischees, um Tiefe zu erzeugen. Erst da wird es realistisch. Leider bleibt die Entwicklung der Charaktere in vielen Produktionen oft zu früh stehen – oder, schlimmer noch, Schichten werden wieder abgetragen, weil man „den Zuschauer nicht überfordern“ will. Ein Satz, den ich oft gehört habe.
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In einem verlorenen Krieg
stern 52/2017
… Als Kerstens und seine Schutzengel in ihrem gepanzerten Konvoi rausfahren aus dem „Safe Haven“, erst durch die erste Schleuse, dann durch die zweite, dann durch die dritte, raus in das Lager der Afghanen, als sie dann vorbeifahren an der Camp-Moschee, in der erst im April 140 afghanische Soldaten von Attentätern massakriert wurden, liegt eine Atmosphäre in der Luft, als zögen sie in eine Schlacht.
Ein paar Minuten später betritt Kerstens das Büro von Oberstleutnant Abdul Latif, er sagt Salam Alaikum, Friede sei mit dir, und stellt sein Sturmgewehr griffbereit neben sich ab. Es gibt Tee und Süßigkeiten.
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Nachts im Tiergarten
stern 48/2017
Zwanzig Euro? Für ein Mal Sex? Nee, nee, sagt er, zehn wären okay, vielleicht fünfzehn, wenn der Junge sich Zeit nimmt. Aber mehr nicht. Mehr kostet es nie. Dann kommt er lieber morgen wieder. (…)
Die Jungs, die hier ihren Körper anbieten, sind oft Flüchtlinge. Die meisten obdachlos und drogensüchtig. Peter Rechlitz sagt: „Da muss ein Zehner reichen, oder?“
Der Tiergarten ist der größte Landschaftspark Berlins, mitten im Herzen der Republik. Er ist zum Symbol geworden für einen Staat, der überfordert scheint. Ein Symbol für Behördenversagen. Für unbewältigte Folgen der Flüchtlingskrise. Für Wegschauen und Schönreden. Prostitution. Obdachlosigkeit. Gewalt. Dreck. Elend. Angst.
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Lindner leuchtet
stern 40/2017 (mit Axel Vornbäumen)
… Als Christian Linder am Abend der Bundestagswahl vor seine jubelnden Anhänger tritt, stehen im Saal ganz hinten links zwei Männer, die aussehen, als hätte der eigene Sohn gerade ein Tor im Kreispokalfinale geschossen. Einer heißt Matthias Storath, der andere Andreas Mengele. Beide arbeiten für die Werbeagentur „Heimat“ , die sich die FDP-Kampagne ausgedacht hat. Man kann sagen: Ohne die beiden gäbe es Christian Lindner so nicht. Sie haben ihn gemacht.
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Die Prinzenrolle
stern 36/2017
… Lindners jahrelange One-Man-Show hat ihren Preis. Es gibt neben dem Chef noch einige in der Partei, die Kabinettsposten übernehmen könnten, aber das Personalangebot ist bei Lichte besehen ausgesprochen dünn. Es geht dabei gar nicht nur um die erste Reihe. Büroleiter, Mitarbeiter, Referenten – all diese Stellen müssen demnächst erst wieder neu besetzt werden. Immerhin gut 500 Arbeitsplätze sind bei der FDP nach der letzten Bundestagswahl weggefallen. Man hat manchmal den Eindruck, Lindner würde im Sinne der Nachhaltigkeit seines eigenen Tuns ganz gern vermeiden, den personellen Wiederaufbau parallel zu Koalitionsverhandlungen mit Merkel zu organisieren. Schließlich kann man als Mittelgewicht starten und später immer noch Schwergewicht werden.
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Kalter Krieg
stern 24/2017
Jeder Krieg, so stellt man sich das vor, hat einen Geruch und einen Klang. Wenn das hier ein Krieg ist, dann riecht er nach Harz und feuchter Erde und klingt meistens nach singenden Vögeln und manchmal macht er Ratatatatat. Dienstag Vormittag. Thomas Sellbeck steht mit einem Block in der Hand vor einer Schießbahn, die er mit seinen Kameraden zwischen die Nadelbäume gebaut hat, der Himmel ist mal blau und mal grau. Auf Sellbecks Zettel steht: MP-GL-3 (WÜ), MP-S-2 (WÜ), MP-S-4 (WÜ). Schießübungen.
Sellbeck ist 25 Jahre alt, hat einen dicken Bizeps und einen schmalen Schnauzbart. Sellbeck gehört zum 122. Panzergrenadierbataillon aus Oberviechtach, Bayern, seit Ende Februar sind sie hier, in Rukla, Postleitzahl 55025, Litauen. Wer nach Rukla fährt, hinein in das 2500-Seelen-Örtchen, vorbei an der Kirche, der Bibliothek und dem Postamt, wer das Dorf auf der anderen Seite dann wieder verlässt, der fährt an die Front.
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Rechts Schwenkt, Marsch Marsch!
stern 20/2017 (mit Jan Rosenkranz)
Bevor die IBuK sich auf den Weg macht in dieses braune Nest im Elsass, sitzt sie beim Frühstück mit den Spitzen der Unionsparteien. Die IBuK, die Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt, wie die Verteidigungsministerin im Abkürzungsdschungel Bundeswehr genannt wird, steht seit Tagen im Feuer der Kritik. Einer der CDU-Oberen erinnert daran, dass man das doch alles schon mal erlebt habe. Das. Die Aufregung über rechtsextreme Umtriebe in der Armee, über entwürdigende Rituale, Misshandlung und sexuelle Belästigung. Keine Pauschalkritik, bitte, das seien Einzelfälle. Da bricht es aus einem CDUler heraus: „Genau das hat die katholische Kirche auch immer gesagt.“
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Oskars letzte Schlacht
stern 13/2017
… Er sitzt in der Maske im Fernsehstudio des Saarländischen Rundfunks. Die Frau mit dem Make-up sagt, er solle lieber seine Socken hochziehen, weil man sonst seine weißen Beine sähe. Er tut mechanisch, wie ihm geheißen, verzieht keine Miene, sagt kein Wort. Mag sein, dass er im Kopf schon seine Munition sortiert. Wenn Oskar Lafontaine ein Mikrofon angeheftet kriegt, legt er ja zuverlässig los, wie eine Pointenmaschine, ratatatatat feuert es dann aus ihm heraus. Aber heute Abend? Bleibt er ganz ruhig. Da sitzt ein Elder Statesman im Fernsehstudio. Er hält sich zurück, argumentiert, erklärt. Der große alte Stratege hat einen Plan, wieder mal: Er will seine Linkspartei im Saarland in die Regierung führen, zusammen mit der SPD ein rot-rotes Bündnis schmieden. Er will seinen Genossen von früher, den Sozis, die er in den zurückliegenden knapp 20 Jahren erbittert bekämpft hat, ein Zeichen senden: Er, ihr einstiger Parteivorsitzender, ist am Ende seiner langen, atemberaubenden, unvollendet gebliebenen Karriere zur Versöhnung bereit. Oskar schlägt seine letzte Schlacht.
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Brüderlich
stern, 03/2017
Mats und Jonas Hummels haben als Kinder gemeinsam angefangen, beim FC Bayern Fußball zu spielen. Die Startbedingungen waren die gleichen, und doch haben sich ihre Karrieren in komplett unterschiedliche Richtungen bewegt. Während Mats, heute 28, im vergangenen Sommer zurück nach München kam, musste Jonas, 26, seine Karriere nach vielen Rückschlägen in der 4. Liga beenden – als Sportinvalide.
An einem Sonntagabend treffen sich die Brüder in der Wohngemeinschaft von Jonas in München zum gemeinsamen Interview, dem ersten überhaupt. Bevor das Gespräch beginnt, werfen Mats und Jonas im Wohnzimmer abwechselnd mit einem winzigen Basketball auf einen winzigen Basketballkorb. Wer verliert, muss später das Abendessen bezahlen. Man könnte sagen: Die beiden neigen dazu, sich zu messen.
Habt ihr eigentlich mal gegeneinander Fußball gespielt, so ein offizielles Bruder-Duell?
Mats: Ein Mal, aber nur ein Trainingsspiel bei Bayern.
Jonas: A-Jugend gegen B-Jugend. Mats war damals schon Verteidiger, ich war eher in der Offensive. Ich habe eine Flanke bekommen, hundertprozentiges Ding. Mats’ Art, das zu verteidigen: Er hat mich ungefähr 30 Meter weggeschubst.
Kurz danach ist Jonas aussortiert worden beim FC Bayern.
Jonas: Ich war im Training der Letzte auf dem Platz, es hat in Strömen geregnet. Der Trainer ist über den nassen Rasen zu mir gestapft, hat mich umarmt und gesagt: Im Endeffekt weißt du es selber, oder?
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Hip und völkisch
stern, 50/2016
Und dann geht alles unglaublich schnell. Ein schwarzer Transporter taucht auf, Schritttempo, er fährt direkt vor das gelbe Gebäude am Neuen Tor, Hausnummer 1, Berlin Mitte: die Bundesgeschäftsstelle der Grünen. Es ist Samstagmittag, der Himmel diesiggrau. Plötzlich kommen aus allen Richtungen Jugendliche angelaufen, zwanzig vielleicht, eine einstudierte Choreographie, so sieht das aus, wie ein Überfall. In dem Transporter: nichts als eine Leiter. Wenige Minuten später fährt das Fahrzeug wieder weg und Robert Timm steht mit sechs andere Jungs auf dem Balkon. Pyrotechnik brennt, gelbe Fahnen werden geschwenkt, Timm hat ein Megafon in der Hand, er ruft: „Meine Damen und Herren, die Identitäre Bewegung hat wieder zugeschlagen.“
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Bock auf Muskeln
Die ZEIT, 49/2016
… Eine Geschichte über Nahrungsergänzungsmittel kann man aus zwei Perspektiven erzählen. Da ist die glitzernde Welt der sozialen Netzwerke, voll mit Bildern schöner Körper. In dieser Welt gibt es schöne, weil fitte Unternehmens-Chefs, die schöne Zahlen präsentieren können. Es gibt aber auch diese andere Seite der Geschichte. Da sind Minderjährige, die gestreckte Pulver einnehmen, oft auch gefährliche Pulver, damit ihre Muskeln schneller wachsen und sie so aussehen wie ihre Idole im Internet.
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Illegal? Scheißegal!
stern, 48/2016
… In der Cruiser-Szene geht es viel darum, wer der geilere Typ ist. Und der geilere Typ zu sein bedeutet, das geilere Auto zu haben. Gespräche auf Cruiser-Treffen sind deswegen meistens Angebergespräche. Einer sagt: „Mein Golf hat einen neuen RS4 gefressen, so viel Geld steckt da drin.“ Ein anderer sagt: „Meine Sitze sind vom Carrera GTS. Dreieinhalb Scheine das Stück.“ Lukas Matthias sagt: „Über 500 PS mein Stuhl, der geht echt böse.“ Und alle sagen: Rennen? Damit habe ich nichts zu tun. Und dann redet man und redet, lässt sich Auspuffrohre erklären, Turbolader, Bremskolben, und irgendwann sagen viele: Na ja, hier und da mal ’n Rennen, klar.
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Die Ohnmächtigen
Der Spiegel, 28/2016 (mit Ann-Kathrin Müller & Ann-Kahtrin Nezik)
Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, sich aufzuregen. Eine Forderung zu stellen. Zum Widerstand gegen die Alten zu trommeln. So wie man es von jemandem erwarten darf, der sich “Zukunftslobbyist” nennt. Doch Wolfgang Gründinger, 32, sagt nur: „Ich will, dass es allen gut geht.“
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Die Firma
Der Spiegel, 17/2016 (mit Britta Stuff)
Der Mann, den sie den König von Burladingen nennen, sitzt hinter einem weißen Schreibtisch in seiner Firmenzentrale. Alles hier wirkt wie aus der Zeit gefallen: der Butler, die makellosen Manieren und die Tatsache, dass der König sein Reich immer noch ohne Computer führt, nur mit Diktiergerät und goldenem Kuli.
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Mama, Mauer, Sohnemann
BRIGITTE Dossier, 08/2016
… Man kann ihre Geschichte nicht erzählen, ohne bei ihrem Sohn anzufangen. Der Sohn heißt Stephan Baurmann und sagt, irgendwann musste es halt schiefgehen, und schiefgehen heißt Polizei oder Tod. Stephan Baurmann sitzt in dem gleichen Raum, in dem er seine Muttter trifft, wenn er sie treffen darf. Er ist ein schüchterner Kerl Anfang 20, der Augenkontakt nicht gerade sucht, wenn er erzählt, wie aus einem Jungen aus der Kleinstadt ein Junge in Häftlingskleidung aus steifer Baumwolle wurde.
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Er redet sich das Leben von der Seele
taz.am Wochenende, 13.06.2015
… Die Sonne schien und das Meer war blau, aber es war November, und in Sick war es dunkel. Sie hatten eigentlich gehofft, dass der Ballast abfällt, wenn er mal rauskommt, dass das Rauschen der Wellen lauter sein würde als die Vergangenheit, die in seinem Kopf angefangen hat zu trommeln. Es gibt ganz selten einen Moment, in dem Sicks Finger nicht fummeln. Kaffee, Kippe, Apfel, Uhr, an irgendwas. Jetzt nicht. Seine Hände liegen nur da. Und dann sagt er einen Satz, auf den Stille folgt: „Es war echt nicht mehr weit.“
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Oh, der hat Herzprobleme!
Die ZEIT, 37/2015
Das Ende des europäischen Datenschutzes schleicht sich über das Handgelenk in Markus Sommers Leben. Es wiegt 25 Gramm, ist aus schwarzem Gummi und hat 99 Euro gekostet. Es heißt Garmin vivofit und ist ein sogenanntes Fitnessarmband, das Sommers Schritte aufzeichnet, verbrauchte Kalorien, Herzfrequenz und Schlafverhalten – 24 Stunden am Tag. Mehr, sagt der Hersteller des Armbands, passiere nicht. Aber wenn es nach dem Europäischen Rat geht, muss es heißen: noch nicht.
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Der Fürst und die Enten
Die ZEIT, 15/2016
… Es gibt viele Dinge, über die man mit dem Fürsten reden könnte, so geldtechnisch: Aktien, Uhren, Autos. Er ist jetzt Anfang 60, er hat seine Erfahrungen gemacht – ein paar schlechte und sehr viele sehr gute. Das viele Gold, das den Fürsten umgibt, ist sein Zeuge. Aber darum soll es nicht gehen, weder um den vergoldeten Kickertisch noch um das goldene Feuerzeug oder den goldenen Briefbeschwerer. Es soll darum gehen, wie der Fürst sein Geld in Enten investierte und die Enten es ihm zurückzahlten. Doppelt, dreifach und vierfach, mindestens.